Mails an die Heimat
Hier Fragmente meiner E-Mails an die Heimat, leicht korrigiert und neu zusammengestellt.
Heimweh
Mein erstes Heimweh habe ich überwunden, morgen kaufe ich mir ein Fahrrad, dann muss ich nicht jeden Tag 50 Minuten zum College (und abends wieder zurück) latschen. Dann suche ich mir bald noch eine andere Wohnung, eventuell ein Einzelzimmer (endlich mit Schreibtisch), wobei mein bisheriger Pariser Roommate sehr gute Gesellschaft war, doch er ist letzten Freitag (nach 25 Besichtigungen) in eine eigene Wohnung gezogen.
Newsflash
Im College haben wir 4 Fächer an 2,5 Tagen die Woche, die noch recht leicht sind.
Bisher war das Wetter meist warm und trocken, was nicht so üblich ist.
In dem Gebiet hinter unserem Haus (O’Devaney Gardens) befindet sich vorwiegend Brachland und eine größere Baustelle, deren Walze heute unser ganzes Haus gleichmäßig vibrieren ließ. Einen Abend stand ein Pferd auf einer teilweise eingezäunten Fläche, eine Frau hielt ihr Auto auf der Straße an, stieg aus und fütterte das Pferd mit Brotresten. Einen anderen Abend standen zwei Knirpse an einem Haufen brennender Müllsäcke. Allgemein ist bei jedem zweiten nächtlichen Heimweg durch dieses Gebiet zumindest ein Müllsack in brand.
Letzten Montag brannte der Müll im Garten unserer Nachbarn, meine Mitbewohner bemerkten es und wir riefen die Feuerwehr, die das Ganze mit einem Löschgruppenfahrzeug in ca. 15 Minuten nach Anruf schon unter Kontrolle hatte.
Über Pubs, Essen und Trinken
Viele Pubs, verbindet, dass sie ziemlich anders als unsere Kneipen heutzutage sind, sie sind meist mit reichlich Holz ausgekleidet, gesellig, in vielen läuft ständig Livemusik von Folk über Jazz bis Blues, es sind ca 12 bis 24 Biere pro Pub stets vom Fass (!) verfügbar, vorwiegend Ales, Stouts (wie Guinness) und Lager und häufig gibt es auch gute Küche, allerdings ist hier alles recht teurer. Ein Pint (5,6 l) kostet 5-6 €, Essen meist um die 10-15 € für einfache Gerichte.
Rindfleisch, Kabeljau, Milch und Cheddar sind von sehr guter Qualität, die Chips (Pommes) sind jedoch meist fingerdick und matschig, nicht ganz mein Fall, die anderen Kartoffelvariationen schon eher. Die Würste sind meist innen Weich und die Pelle knusprig gebraten. Auch das irische Soda Brown Bread hat es mir angetan, obwohl ich sonst nur sehr wenig Brot mag. Die Iren sind sehr stolz auf ihre lokalen Lebensmittel und es gibt überwältigend viel “Made in Ireland” zu kaufen.
Das Leitungswasser schmeckt allerdings fast überall nach Chlor. Wasser in pfandfreien Plastikflaschen kostet unabhängig von der Größe meist um die 2 €, Glas findet man selten.
Vegetarische Hauptgerichte sind auch selten, jedoch gibt es häufiger Eintöpfe und Suppen. Außerdem wird mehr in Pubs als Zuhause getrunken, der Liter Guinness kostet in der Dose ca 2-3 €. Spirituosen beginnen meist bei 20 € für 0,7 l.
Weltschmerz
[…] Dazu zwei Gedanken, die für mich immer wieder unfassbar sind.
Wir haben als Menschheit mehr als 2000 Jahre unserer Zeitrechnung hinter uns, und wir sind immer noch primär abhängig von endlichen Rohstoffen, müssen noch immer arbeiten um ein anständiges Leben zu führen, sind immer noch weit davon entfernt, Außerhalb der Erde leben zu können (gottseidank, weil…), sind nur so freundlich wie wir müssen, haben Hierarchie, Kapitalismus, bemessen allem einen Wert, leben in Konkurrenz und zu guter Letzt haben wir immer noch keine flächendeckende Glasfaser und IPv6.
Zweiter Gedanke: Wenn ich mich umschaue, wie viele tausende und abertausende Menschen in unserer Stadt und Millionen in unserem Land und Milliarden auf diesem Planeten ihr Leben primär um Arbeit aufbauen, die sie nicht glücklich macht und die Gesellschaft nicht voranbringt, kann ich auch allein diese Verschwendung nicht fassen. ich meine, wir verschwenden bestimmt den Großteil von 7 Milliarden Mannstunden pro Stunde.
Und im Endeffekt stehe ich in dieser Scheiße und bringe auch nichts voran, wenn ich über Utopien nachdenke. Und somit muss ich dieses kleingeistige Leben fristen.
[Keine Sorge, jetzt habe ich gerade andere Sorgen :D]